Donnerstag, 4. Oktober 2007

_Der_neue_Diener_

Eine Geschichte, die wir mal im Deutschunterricht schreiben sollten. Heute wiedergefunden. Der erste Satz bis zum Doppelpunkt war vorgegeben.

Der neue Diener

Lose über den ganzen Raum verteilt stehen wir in den Ecken herum und danken unserem Schicksal dafür, dass wir dieses Spiel nicht mitzuspielen brauchen. Ich spüre plötzlich Peter neben mir, wie er seine Hand auf meinen Nacken legt und zu mir sagt: "Sie schachern um Zeit."
Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe und wende mich ihm zu: "Wie meinst du das?"
"Sie erwarten einen Überraschungsgast, aber der lässt sich Zeit."
Nicht, dass diese Erklärung irgendetwas erklären würde... "Na und?"
"Na und?"
"Ja, na und?"
Er scheint ein wenig beleidigt, dass ich die große Offenbarung, die nicht einmal der Burgherr kennt, sehr wohl aber der Stallknecht, mit einem leichten Schulterzucken abtue.
So seufze ich leise in meiner dunklen Ecke und fordere ihn auf: "Spuck's aus.", während ich mich wieder der Szenerie am lang gezogenen Tisch zuwende. Zwei nach dem neuesten Schrei aus Frankreich gekleidete Höflinge - "Gecken", murmele ich unbewusst - stolzieren vor unserem eherenwerten Burgherrn hierhin und dorthin, und schwadronieren, dass die Federn auf ihren Baretten nur so wackeln. Nun, tatasächlich machen sie den Eindruck, sie wollten Zeit schinden. Mit viel freier Interpretation betrachtet, versteht sich. Denn de facto sehen Höflinge in meinen Augen immer aus, als wollten sie Zeit schinden. Was sollen sie auch anderes tun? Irgendwann ist auch den letzte Wein getrunken und sie sitzen auf dem Trockenen.
"Ach, du hörst doch gar nicht zu", erklingt es hinter mir und mir kommt der Gedanke, dass Peter wohl eine Weile geredet haben musste, bevor er - und ich selbst - bemerkte, dass ich gar nicht zugehört habe.
"Doch", lüge ich, "natürlich tue ich das."
"Ach, und was habe ich gesagt?"
Ein desinteressiertes Schulterzucken meinerseits.
"Du sollst nicht lügen", zitiert der Stallknecht aus der Bibel, woraufhin ich nur verächtlich und auch ein wenig verärgert schnaube. "Solche wie du sind schon für geringeres verbrannt worden. Erst gestern nur fünf Meilen von dieser Burg entfernt, da haben die...", fährt Peter fort. Er redet gern.
Doch diesmal unterbreche ich ihn: "Halt mal die Luft an. Woher weißt du das schon wieder?"
"Mein Schwager..."
"Hey, ihr da!"Erschrocken zucke ich zusammen. Danke, Peter, vielen, vielen Dank. Natürlich weiß hier niemand, dass wir die Mäuler zu halten haben, wenn der Burgherr uns nicht ausdrücklich befielt, zu sprechen... Nein, sicherlich nicht.
"Stallbursche, sattel mein bestes Pferd und noch zwei weitere. Meine Gäste und ich werden ausreiten", befielt der Burgherr. Dann wendet er sich mir zu: "Und du, steh nicht herum und schwatze. Geh, und tu etwas Sinnvolles."
Was, zum Beispiel? Aber ich sage nichts, sondern verbeuge mich und husche so schnell es mir möglich ist aus dem Raum, wobei mir auffällt, dass Peter und ich die letzten Dienstboten darin sind. Na, herrlich.
"Was bist du heute so miesepetrig?", fragt Peter hinter mir. "Komm, hilf mir beim Satteln der Pferde. Die gute alte Stallluft wird dich aufmuntern."
Ich schnaube. "Ja, sicherlich. Und dann werde ich zusammengestampft, weil ich wieder tatenlos
herumstehe?"
"Ach, genau deswegen sollst du mir ja helfen. Habe ich auch nur ein Wort davon gesagt, du sollst am Pfeiler lehnen und Balladen trällern?"
So eine spitzfindige Bemerkung ist man ja gar nicht gewohnt von unserem guten alten Stallknecht...
Nun gut, dann eben zu den Pferden.
Der Herr und seine beiden Gecken sind ziemlich flott und wir müssen ganz schön katzbuckeln, um nicht zusammengestaucht zu werden, weil die Pferde nicht fertig sind, als sie hinaus in den Hof schreiten. Doch letztlich stehen wir am Tor und sehen ihnen nach, wie sie dem Wald entgegen reiten. Der Himmel ist bewölkt und es ist nicht mehr lang bis zur Abenddämmerung, was mich zu der spontanen, an niemand bestimmten gerichteten Frage veranlasst: "Sind sie verrückt geworden?"
Peter, der gerade zurück in den Stall gehen will, bleibt stehen. "Wer?"
"Na, wer wohl? Die Herrschaften."
Diesmal ist es an ihm, mit der Schultern zu zucken.
Ich tue so, als schnüffele ich in der Luft. "Es riecht nach Regen."
"Ich glaube, das macht nichts."
"Klar, und wer hört sich später die Tirade an? Wenn die Hochwohlgeborenen zurückkommen, völlig durchnässt und aufgeweicht?"
Peter nimmt eine Mistgabel und beginnt, das Stroh im Stall umzuschichten. "Niemand." Er hält inne und sieht mich im aufziehenden Halbdunkel an. Ich kann seinen Blick nicht deuten, doch läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.
"Sag mal, auf wen haben sie gewartet?"
Er nimmt seine Arbeit wieder auf. "Das Leben", sagt er, seine Stimme merkwürdig monoton.
"Guter Witz. Hat ihn dir dein Schwager erzählt?"
"Kein Witz."
Ein Donner rollt wie ein Bollwerk über die Burg. Ich ducke mich instinktiv unter einer unsichtbaren Last. Seit wann ist es hier im Stall so dunkel? Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. "Peter was ist los?"
Der Stallknecht arbeitet ungerürt weiter.
Noch ein Donner. Kein Blitz?
"Ungemütlich hier..." Ich zupfe am meiner Kleidung herum, bis mir auffällt, wie lächerlich das ist. "Sag mal, kannst du die Sache von vorhin noch einmal erzählen? Ich meine, tut mir echt leid, dass ich nicht zugehört habe. Also, jetzt ohne Scherze, wer sollte kommen? Müssen wir irgendetwas vorbereiten?"
"Nein."
Das Geräusch starken Regens dringt von draußen herein und verstärkt auf merkwürdige Weise den Geruch nach Stroh und Mist. Die zwei übrig gebliebenen Pferde schnauben und tänzeln im Dunkeln nervös hin und her. Ich sehe Peter nicht mehr, nur hören kann ich ihn, wie er emsig seine Arbeit fortsetzt, und die Geräusche sind merkwürdig dumpf. Ich stoße mich von der Wand, an der ich gelehnt habe, ab, schüttele verwirrt den Kopf und stapfe hinaus in den Regen. Ein Blitz blendet mich und wirft bizarre Schatten auf den Hof. Ein weiterer Donnerschlag scheint alles nieder zu drücken. Binnen weniger Augenblicke bin ich bis auf die Knochen durchnässt.
Ich versuche, gegen den heulenden Wind anzuschreien: "Hey, Peter, sollte sich nicht jemand um den Burgherr kümmern? Sattel ein Pferd!"
Ob tatsächlich eine Antwort kommt, weiß ich nicht, glaube aber, dem Wind die Worte "Zu spät." entnehmen zu können, bevor ein Blitz mitten in den Wald fährt.